Die Russische Methode

Winterschwimmen: Nervenkitzel für Kälteresistente

Silvesterschwimmen ist ein frostiges Spektakel für Abgehärtete.

Baden hat nicht nur im Sommer Saison, sondern bietet auch im Winter gesundheitliche Vorzüge.

Der Sommer ist längst vorbei, doch für manche beginnt die Badesaison ohnehin erst dann, wenn die Schwimmbäder leer sind: Winterschwimmen erfreut sich überraschend großer Beliebtheit - und neben dem Nervenkitzel gibt es auch gesundheitliche Vorzüge für Kälteresistente.

Edith Altendorfer ist ein Fan vom Schwimmen bei Minustemperaturen. Beinahe an 365 Tagen im Jahr dreht sie ihre Runden im Gartenteich in Oberösterreich - zumindest solange sie die Eisschicht mit ihren Füßen aufstoßen kann. Im Sommer schwimmt sie Länge um Länge, im Winter bleibt es beim kurzen Eintauchen. Auch Ehrenfried Pirklbauer aus Schlägl scheut sich nicht vor der Kälte: "Ich gehe das ganze Jahr in die Mühl, immer wenn mir danach ist", erzählt er.

Gemeinsam haben Altendorfer und Pirklbauer die verständnislosen Reaktionen ihrer Umwelt auf das extreme Hobby. Altendorfer hat oft fassungslose Nachbarn und Spaziergänger als Zaungäste: "Ich glaube, alle halten mich für ein bisschen verrückt", lacht sie. "Ich bin schon überall bekannt dafür", meint Pirklbauer. "Mich fragen sie manchmal im Winter, wie viel Grad die Mühl gerade hat."

Seit zehn Jahren schwört Altendorfer schon auf die Vorzüge vom winterlichen Baden: "Das ist fast eine Sucht. Der Tag kann nicht gut beginnen, wenn ich nicht schwimme." Außerdem werde sie, seit sie vor zehn Jahren ihre Leidenschaft für das Winterschwimmen entdeckt hat, viel seltener krank und sei körperlich fitter.


Baden vor Publikum
Diese gesundheitlichen Vorzüge kennt auch Rainer Brenke, ein deutscher Internist mit einem Schwerpunkt auf physikalischer Medizin. Was bei sommerlichen Temperaturen in weiter Ferne scheint, müsse aber Monate im Vorhinein sorgfältig geplant werden: "Man sollte vom Sommer und Herbst in den Winter hineinbaden."

Als ehemaliger Oberarzt an der Berliner Charité hat Brenke viele Jahre eine Gruppe von Berliner Winterschwimmern begleitet und seine Forschungsergebnisse in "Das Buch vom Winterschwimmen" veröffentlicht. Bis heute ist er überzeugt von den gesundheitlichen Vorzügen des Sports, der auch hierzulande Fans hat: In Fuschl am See gibt es zum Beispiel ein Silvesterschwimmen, wo jährlich rund 50 Mutige vor einem großen Publikum Baden gehen. Auch in anderen Seen im Salzkammergut sind laut den jeweiligen Tourismusbüros die einen oder anderen Winterschwimmer unterwegs.

Und es ist nicht so gefährlich wie es aussieht: "Winterschwimmen ist weniger kreislaufbelastend, als man vielleicht denkt", sagt Brenke. Joggen im Winter sei zum Beispiel bei weitem belastender für den Körper. Wer aber an Bluthochdruck leide, solle sich den Sprung in das kalte Nass besser zweimal überlegen. "Es ist allgemein sicher ratsam, vorher den Arzt zu fragen", sagt Brenke.

Aus seinen Untersuchungen weiß er aber, dass das regelmäßige Schwimmen in kaltem Wasser viele gesundheitliche Vorzüge bietet: "Der Haupteffekt war, dass die Leute weniger grippale Infekte bekommen haben." Außerdem seien weniger Rheumabeschwerden aufgetreten und Asthma bei Betroffenen zurückgegangen. Insgesamt seien die von ihm beobachteten Winterschwimmer allgemein gesundheitlich stabiler gewesen.

Überschätzte immunologische Wirkung
Die gerne zitierte Verbesserung des Immunsystems als Folge des Winterschwimmens stimmt laut Brenke nur eingeschränkt: "Das Immunsystem ist nur ein Baustein, den man nicht überbewerten sollte." Ein weitaus wichtigerer Grund dafür, dass Winterschwimmer nicht mehr so anfällig für Infekte sind, sei, dass bei ihnen Haut und Schleimhäute besser durchblutet seien - als sichtbaren Effekt hätten die Extremsportler dann auch immer warme Hände. Außerdem kämen deswegen immunologisch wichtige Zellen öfter in Nasen- und Rachenraum vor.

Auch ein stabileres vegetatives Nervensystem sei eine positive Wirkung des Winterschwimmens, wie Brenke in seinen Untersuchungen nachgewiesen hat. So hätten Winterschwimmer eine höhere Konzentration von Substanz P im Blut, was ein Antistresshormon ist. Das Baden im kalten Wasser führe auch eine biochemische Veränderung herbei: "Man hat einen vermehrten Schutz gegenüber freien Radikalen, wenn man wiederholt Kaltreizen ausgesetzt ist", so Brenke. Ein ähnlicher Effekt werde auch durch kaltes Duschen bewirkt.

Kein falscher Ehrgeiz
Doch Schwimmen bei kalten Temperaturen birgt auch Risiken: "Eine Grundregel ist, dass man das nie alleine macht", warnt Brenke. "Das soll eine seriöse Gruppe sein", betont der Experte, denn Wettbewerb und Mutproben können bei wenigen Grad über Null lebensbedrohlich sein. Das Abschwimmen bestimmter Strecken oder das Ausharren im Eiswasser sei besonders riskant: "Wer zehn Sekunden eintaucht ist genauso gut wie jemand, der zwei Minuten im Wasser ist", sagt der Mediziner. Länger solle man den Badespaß niemals ausdehnen, weil ansonsten der Wärmeverlust für den Körper zu groß sei.

Nach dem morgendlichen Schwimmen wärmt sich Edith Altendorfer mit einer Tasse Kaffee beim Frühstück auf. Auch Brenke empfiehlt, sich nach dem eiskalten Bad warm anzuziehen und sich an einem beheizten Ort wieder aufzuwärmen.

Von sportlicher Betätigung nach dem Eisbaden rät er dringend ab. Dadurch werde nämlich kaltes Blut von den Armen und den Beinen zum Herz gepumpt: "Man hat bei Schiffbrüchigen gesehen, dass es da oft zum Bergungskollaps kommt", warnt er. Gegen Sport vor dem Bad sei aber nichts einzuwenden.

Trotz aller Risiken hat Brenke in den 15 Jahren, in denen er das Winterschwimmen erforscht hat, nicht einen einzigen Unfall erlebt – vom gelegentlichen Aufschneiden der Füße am Eis abgesehen. "Nur ein einziges Mal habe ich mitbekommen, dass sich jemand danach erkältet hat", erinnert er sich. Damals sei ein Kind von seinem Vater zum Winterschwimmen gezwungen worden. "Die Motivation, die dahinter steht, und die Psyche spielen eine große Rolle", ist er überzeugt.

Kein Gewöhnungseffekt
Brenke, der die Entwicklung des Winterschwimmens in Deutschland seit Jahren beobachtet, sieht in der wachsenden Beliebtheit des Sports auch eine Faszination mit Extremen: "Ich denke, das ist ein allgemeiner Trend, weil wir versuchen, einen Mangel an extremen Reizen zu kompensieren", sagt er. Heute hätten Menschen keine klimatischen Reize mehr, da die Wohnung beheizt und das Auto klimatisiert sei.

Wer das Winterschwimmen "nur" aus gesundheitlichen Gründen, und nicht aufgrund des alltäglichen Nervenkitzels machen will, dem sei als Alternative regelmäßiges Saunieren ans Herz gelegt. Auch in diesem Bereich hat Brenke geforscht: "Messbare langfristige immunologische Veränderungen haben wir eher beim Saunieren gefunden." Außerdem sei das Saunieren weniger kreislaufbelastend und - im Gegensatz zu Winterschwimmen - nicht saisonabhängig. "Aber Winterschwimmer sind durchaus ernst zu nehmen und haben in vielen Fällen positive gesundheitliche Effekte", versichert der deutsche Arzt.

Für Edith Altendorfer kommt diese Alternative aber ohnehin nicht in Frage. Sie wird auch in der kalten Jahreszeit wieder in ihren Schwimmteich eintauchen. Unterbrechungen gibt es nicht: "Ich glaube, man muss das jeden Tag machen. Wenn man Pausen macht, dann hält man das nicht durch." An diesen Gewöhnungseffekt glaubt Brenke hingegen nicht: "Der Reiz ist so intensiv dass es auch bei oftmaligem Schwimmen in der Kälte keine spezielle Anpassung gibt. Es ist leider nicht so, dass man sich irgendwann wie in einer warmen Badewanne fühlt." (Franziska Zoidl, derStandard.at, 10.10.2013)